Bräuche im Strohglonkidorf Leipferdingen
Wie bereits in den vergehenden Berichten erwähnt, gilt Leipferdingen seit altersher als eine närrische Geimeinde, wo das Fasnächtliche immer schon kulturelles Gut innerhalb des Jahreskreises war. In ihrer Strohglonkibekleidung toben sich die Leipferdinger bei närrischem Treiben von den an den langen Winterabenden am wärmenden Ofen und auf der Kunst aufgestauten Winterdomänen aus und befreien sich von ihnen für den kommenden Frühling. Gerade deshalb war es für das Zunftgremium seit der Gründung 1954 immer wieder eine entscheidende Frage, wie man die Verkleidung harmonisch in das närrische Gefüge bei den fasnächtlichen Veranstaltungen bringen könnte.
Das Stroh, als Symbol für den scheidenden Winter, wurde noch stärker hervorgehoben, was sich auch eindeutig beim Sinnbild der Tänzerinnen des Bändeltanzes zeigt.
Doch an anderer Stelle soll hierüber eine nähere Vertiefung erfolgen.
Für den Fremden, sei er Narr oder Nichtnarr, stellt sich immer wieder die Frage, warum die Leipferdinger Narren ausgerechnet zum Stroh gegriffen haben? Dies mutet zunächst etwas seltsam an. Nun das närrische Brauchtum wurde, wie an anderer Stelle erwähnt, schon früher nachweisbar seit 1777 ausgeprägt gepflegt. Nicht jede Gemeinde kann historisch ein urwüchsiges Brauchtum ohne weiteres nachweisen. Leipferdingen stand ja gerade früher verkehrstechnisch wie auch geographisch etwas abseits und so waren die Bewohner wohl oder übel gezwungen, sich selbst zu helfen, sich selbst zu versorgen, da die pekuniären Voraussetzungen nicht die besten waren, außerhalb der eigenen Lebensbedürfnisse große Geldausgaben zu tätigen. Heute natürlich, im Zeitalter des Wohlstandes, trifft dies nicht mehr zu. Aber durch die besonderen Verhältnisse in Leipferdingen im Verlauf der Geschichte wurde es ermöglicht, dass wir heute für die Fasnacht ein urwüchsiges Brauchtum in Gestalt des Strohmannes vorweisen können.
Leipferdingen war, wie ja die bevölkerungsbewegende Zahlenstatistik und die strukturelle Situation beweist, eine rein landwirtschaftliche orientierte Gemeinde. Der Reichtum an Steinen und die klimatisch bodenmäßigen Voraussetzungen begünstigten einen gedeihenden Getreidebau. So griff der Leipferdinger für das närrische Treiben einfach zum Stroh, das ja von Haus aus kostenlos vorhanden war.
Aus dieser Tatsache sollte sich dann ein närrischer Vers reimen:
In jenen ärmlichen Zeiten zogen die Narren gruppenweise durch das Dorf, um sich in den Häusern der Narrenfreunde zu treffen. Dort leerten sie das Mostfass um ein einige Dauben, was bewirkte, dass sich die Narren auf diese Weise stimmungsvoll näher kamen. Aber nicht nur die Gurgel sollte befriedigt werden, auch der Gaumen kam nicht zu kurz. Falls nämlich der dazugehörende Speck nicht freiwillig angeboten wurde, stieg man einfach ins „Kämmig“ und verschaffte sich auf diese Weise ein ordentliches Vesper. Dies geschieht auch heute noch, doch nimmt man es keinem übel, denn die Narren machen es auf andere Art wieder gut.
Nach dem eingenommenen Speckvesper lagen zum Teil Speckschwarten auf dem Tisch, mit denen für die ganz Familie dann die Schuhe gesohlt wurden. Manchmal dienten sie auch dazu für das größte Leipferdinger Rindvieh einen Bauchriemen zu fertigen.
Aus diesem närrischen Brauchtum wurde folgender Vers geprägt:
„Brot und Moscht mond sie om geh und Speck,
wenn sie hond!“
Selbstverständlich wurden von den Jungnarren Familien mit heiratsfähigen Töchtern bevorzugt. Manch ein Strohglonki nahm die Gelegenheit wahr, seiner künftigen Schwiegermutter seine Absichten auf närrische Art und Weise kund zu tun. Während das sog. Heischen verbreitet war, kam schon früher das „Betteln“ der Erwachsenen immer mehr in Verruf, weil das Vertrinken des Geldes (wildes und zügelloses Saufen) als Exzess betrachtet wurde. Es ist aber leider verständlich, dass auch in Leipferdingen, bedingt durch den Wohlstand, die Häuserfasnacht etwas abgeflacht ist. Der Alkohol wird immer mehr mit dem über die Fasnachtstage besonders flüssigen Geld in den Wirtschaften eingenommen.
Trotzdem wird dieser närrische Brauch immer noch in kleinerem Rahmen am Schmutzige Dunschtig durchgeführt. An diesem Tage wird seit vielen Jahren der Strohmann von einem wild peitschenden Fuhrmann durchs Ort geführt. Johann – Mart – Fluck hat dies in hervorragender Weise verstanden und hat dieses Brauchtum an unsere heutige Generation weitergegeben. Kurz nach der Dämmerung strömt heute noch Jung und Alt mit Lampions, Kochtopfdeckeln und anderen lärmerzeugenden Instrumenten zum Narrenbaum. Von hier aus bewegt sich der Hemdglonkerumzug und mit närrischer Musik zieht man durchs Dorf. An mehreren Stellen bekommen die Hemdglonkerinnen und –glonker hochprozentige Getränke, damit der lebensgefährliche Bazillus „Humorlosigkeit“ sie nicht infizieren kann.
Für boshaften Ulk, Schalk, und Schabernack war der Strohglonki immer schon aufgelegt. Eine besondere Genugtuung ist zum Beispiel für den Strohglonki, einen auswärtigen Besucher, sei es ein Viehhändler oder einen Hausier, welcher sich über die Fasnacht nach Leipferdingen wagt oder verirrt, aufzugreifen und im Umzug mitzuschleifen und so zu reizen, bis dieser für seine Freilassung gerne einen angemessenen Obulus entrichtet.
Zu den Zeiten der stolzen Pferdegespanne wurde noch manch imposantes Pferdegespann angehalten, die Pferde abgespannt, die Ladung heruntergeworfen und am Wagen oder an der Chaise die Räder abmontiert. Wenn auch ungewollt wurde sodann der Fuhrmann in der nächstgelegenen Wirtschaft so lange festgehalten bis auch dieser mit den spendierten alkoholischen Getränken ebenfalls zum närrischen Tun und Treiben beigetragen hatte.
So ist es verständlich, dass die Leipferdinger bei der älteren Generation in den benachbarten Gemeinden heute noch oft die „Massiven“ genannt werden. Man muss aber hinzufügen, dass diese Ulks immer in fairer Art exerziert und gelöst worden sind. Ein Feind für urwüchsiges Brauchtum ist natürlich heute das Zeitalter der Technik. Fasnachtsscherze dergestalt sind immer seltener geworden.
So wurden früher für das Einholen des Stammbaumes der Narren, also noch in der Zeit vor der fahrbaren Motorisierung, die vier schwersten Ochsen angespannt und geritten. Als jedoch im Laufe der Zeit die Ochsen und Pferde durch die technische Entwicklung abgeschafft wurden, konnten sich die Strohglonki nicht so recht und so schnell für den Schlepper entschließen. Auch in dieser Situation zeigten die Strohglonkis, dass sie „nicht aufs Maul“ gefallen waren und immer bereit waren, neue Einfälle in die Praxis umzusetzen. Das Ochsengeschirr legten sich die Strohglonkis selbst an und zogen den Wagen mit dem Narrenbaum ins Dorf bis zum Narrenloch. Damit haben die Strohglonki-Narren demonstrativ bekräftigt, dass der Esel nicht nur ein Lasttier, sonder auch ein Zugtier ist.